Herr Horster, vor knapp zehn Jahren haben South Pole und Steyler Ethik Bank mit der zertifizierten Klimabilanz für einen Aktienfonds Neuland betreten ...
Aus heutiger Sicht waren wir gemeinsam absolute Pioniere. Erstens war Klimawandel auch gesellschaftlich noch kein Massenthema. Zweitens fokussierte sich der größte Teil der Finanzindustrie noch nicht auf Nachhaltigkeit. Somit war es vielleicht gar nicht so erstaunlich, dass es zwei Außenseiter brauchte, um das Thema Klimawandel in ein Investmentprodukt zu gießen.
Wir waren Außenseiter, da wir als eine der ersten Datenfirmen Unternehmen nicht auf Finanzkennzahlen, sondern Nachhaltigkeitsaspekte hin untersuchten und an die Rolle von Investoren in Bezug auf den Klimawandel glaubten – worüber viele Datenanbieter, die heute mit uns in Konkurrenz treten, damals nur gelacht haben.
Als ich dann zum ersten Mal nach Sankt Augustin kam, die Finanzinstitute in Frankfurt, London und Zürich gewohnt, dachte ich: Hier soll eine Bank sein? Bei einem Mittagessen mit Norbert Wolf konnte ich die Steyler Bank in ihrem einzigartigen Profil dann kennenlernen, war tief beeindruckt von der Überzeugung beim Thema Nachhaltigkeit und mir wurde klar: Mit diesem Haus, seinen Werten und seiner Innovationskraft können wir unsere Vision vielleicht gemeinsam umsetzen. Und das hat toll geklappt!
Wie blicken Sie auf die Zusammenarbeit zurück?
Der Steyler Fair Invest - Equities (damals noch unter dem Namen Steyler Fair und Nachhaltig – Aktien) wurde der erste Fonds weltweit, der seine Klimabilanz zertifiziert auswies. In den Folgejahren haben wir gemeinsam auf Podien und bei Konferenzen das Prinzip der Klimabilanzierung in ganz Europa vorgestellt. Und so war es sicher auch unserer Pionierarbeit geschuldet, dass eine solche Klimabilanz in einigen Ländern irgendwann verpflichtend wurde und heute Standard ist.
Ich habe meine Firma 2017 an das globale Unternehmen ISS ESG verkauft, das ich heute leite. Die Steyler Bank hat ihre Nachhaltigkeitsstrategie weiter vertieft und die Produktpalette erweitert. Trotz all dieser Veränderungen auf beiden Seiten arbeiten wir bis heute eng zusammen und ich hoffe, dass dies auch die nächsten zehn Jahre so bleibt – mindestens!
Wie haben Sie es damals geschafft, die CO2-Emissionen der Unternehmen im Fonds zu bestimmen?
Unsere Idee war damals recht einfach: Wer eine Aktie besitzt, besitzt den Teil eines Unternehmens und damit anteilig auch dessen Treibhausgasemissionen. Wenn Sie also 0.002% von Siemens halten, weisen wir Ihnen 0,002% der Treibhausgasemissionen von Siemens zu.
Das haben wir in einem Fonds wie dem Steyler Fair Invest - Equities auf alle Fondsunternehmen hochaggregiert und konnten damit die Aussage treffen: Wenn eine Kundin 10.000 Euro in den Steyler Aktienfonds investiert, „kauft“ sie x% weniger CO2 als wenn sie das gleiche Geld in einen konventionellen Fonds investiert hätte.
Was waren die größten Herausforderungen?
Die größte Herausforderung war damals wie heute: Wie gehen wir mit Unternehmen um, die falsche oder gar keine Treibhausgasemissionen berichten? Wir haben damals mit Wissenschaftlern der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich eine Methodik entwickelt, die bis heute führend ist und es ermöglicht, Treibhausgasemissionen für jedwedes Unternehmen recht genau zu schätzen.
Wenn sie denken, dass die Dominanz des Klimathemas diese Methodik überflüssig gemacht hat, da ja ohnehin alle Unternehmen heute klimatransparent sind, muss ich Sie schockieren: Noch immer berichten weniger als 6.000 Unternehmen weltweit ihre Treibhausgasemissionen – von über 60.000 Unternehmen an den gängigen Kapitalmärkten!
Ist dies der Grund, warum heute oft über fehlende Daten und Datenqualität geklagt wird?
Die Klage über mangelnde Daten scheint bei diesen Zahlen gerechtfertigt. Aber Sie müssen auch bedenken: Damals hatten wir zwei klimarelevante Datenpunkte pro Unternehmen. Heute sind es weit über 800 Datenpunkte – unsere Analysetiefe hat sich in zehn Jahren mehr als vervierhundertfacht!
Was hat sich seither beim Thema Klimamessung getan? Haben Sie das Gefühl, mit ihrer Arbeit einen Beitrag zum nachhaltigen Umbau der Realwirtschaft leisten zu können?
Das ist die Frage, die ich mir selbst ständig stelle, da wir ja mit diesem Anspruch angetreten sind. Da ist es schon deprimierend zu sehen, dass heute, über zehn Jahre später, die Welt noch immer weit davon entfernt ist, das, was viele als drohende Klimakatastrophe sehen, auch nur im Ansatz in den Griff zu bekommen. Dennoch haben wir viel erreicht. Wir haben unseren Beitrag dazu geleistet, dass heute Finanzmarktteilnehmer in den meisten Ländern der Welt um die Klimafrage nicht herumkommen und sich mit der Thematik auseinandersetzen müssen. Das gibt mir Zuversicht, dass wir die Wirkung bald auch deutlich in der Realwirtschaft spüren werden. Die Frage ist allerdings, ob dies rechtzeitig und massiv genug geschieht.
In Wirtschaft- und Finanzwelt wurde Carbon vor zehn Jahren noch sehr stiefmütterlich berücksichtigt. Jetzt scheint es ohne Carbon-Messung gar nicht mehr zu gehen. Würden Sie sagen „Alles im Lot“?
Was die Messung angeht, ist tatsächlich alles auf einem guten Weg. Nur: Das Messen allein ist ja nur der erste notwendige Schritt auf dem Weg zum eigentlichen Ziel: Dem Handeln! Nur weil Sie zehnmal täglich mit dem perfekten Thermometer Ihr Fieber messen, werden Sie ja nicht gesund. Es geht darum, die richtige Medizin zu finden, die das Fieber senkt. Das Messen dient nur dem Nachweis, dass Ihre Medizin wirkt. An der Medizin, also den richtigen Investitionsmaßnahmen, hapert es noch beträchtlich.
Ohne Impact scheint heute sich keiner mehr auf die Straße zu trauen. Wie beurteilen Sie die Wirkung von nachhaltigen Geldanlagen?
Wie immer im Leben: Es kommt drauf an. In einigen Anlageklassen wie Private Equity oder Private Debt kann Ihr Investment eine direkte Wirkung entfalten. Wenn Sie als Aktieninvestor die Realwirtschaft verändern wollen, dann genügt es nicht, eine bestimmte Aktie oder einen nachhaltigen Index zu kaufen.
Sie müssen Ihre Erwartungen zu diesen Veränderungen gegenüber dem Management der Unternehmen in Ihrem Portfolio formulieren (sogenanntes Engagement) und mittels Ihrer Stimmrechte als Aktionär bei der Jahreshauptversammlung dem Management Ihr Vertrauen zusprechen oder entziehen. Fonds wie der Steyler Fair Invest - Equities machen dies im Namen ihrer Kunden.
South Pole ist aus einer gemeinnützigen Organisation entstanden. Heute, nach zwei Übernahmen, sind Sie Teil der Deutschen Börse. Hätte Ihnen das damals jemand vorhergesagt, was hätten Sie erwidert?
Ich hätte laut gelacht und bei der blühenden Fantasie zu einer Karriere als Schriftsteller geraten. Aber im Ernst: Als ich das erste Mal nach Sankt Augustin kam, waren wir natürlich selbst nicht sicher, ob unser Ansatz langfristig von Erfolg gekrönt sein würde. Dass ich heute einen der größten ESG-Datenanbieter der Welt leiten darf, ist unglaublich und macht mich sehr dankbar. Aber es lehrt mich auch Demut und spornt mich an: Die Probleme der Welt sind leider nicht weniger geworden, wir können uns noch lange nicht ausruhen!
Zur Person
Von der Elite-Uni Cambridge an die Börse. Maximilian Horster, Jahrgang 1977, schrieb seine Doktorarbeit über deutsch-deutsche Geschichte, wechselte dann aber ins Londoner Investmentgeschäft. 2006 gründete er mit der South Pole Group einen Anbieter für Klimaschutzlösungen im Finanzsektor. 2017 wurde das Unternehmen Teil des Nachhaltigkeitsspezialisten ISS. Heute ist Maximilian Horster Chef von ISS ESG, dem ESG-Geschäft von ISS. 2020 kaufte die deutsche Börse ISS, das aktuell über 2.800 Mitarbeiter weltweit beschäftigt.