Wie in den USA und vielen weiteren Staaten zeigen sich auch in der größten Volkswirtschaft Südamerikas seit Jahren tiefe gesellschaftliche Risse. Daher galt vielen Beobachtern die jüngste Abstimmung als Schicksalswahl. Äußerst knapp setzte sich der linke Politiker und ehemalige Präsident Luis Inácio Lula da Silva gegen den rechtspopulistischen Amtsinhaber Jair Messias Bolsonaro durch.
Die internationale Gemeinschaft verfolgte die Wahlen mit großem Interesse – auch in Bezug auf den Schutz des Regenwaldes und die Rechte indigener Völker, die beide unter Bolsonaro massiv gelitten haben.
2021 starteten wir als Teil einer großen Allianz von 93 kirchlichen Investoren ein Engagement mit Brasiliens Regierung (hier geht’s zum Bericht). Tommy Piemonte von der Bank für Kirche und Caritas, der zu den Koordinatoren dieses Prozesses zählt, kommentiert den Ausgang der Wahl wie folgt: „Durch die Wahl von Präsident Lula da Silva und seine ersten Amtshandlungen zum Jahresbeginn lassen sich bereits einige konkrete Maßnahmen feststellen, die auf unsere Engagement-Forderungen einzahlen.“ Unter anderem gehören dazu:
- Der Amazonas-Fonds wird wieder eingerichtet, der für die Verringerung der Entwaldung verwendet werden soll.
- Die von der früheren Regierung beschlossenen Maßnahmen zur Erleichterung des Bergbaus in Schutzgebieten und auf indigenem Land werden zurückgenommen.
- Der Aktionsplan zur Bekämpfung der Entwaldung des Amazonas (PPCDAm) und des Cerrado (PPCerrado) wird neu aufgelegt, für weitere Gebiete werden ähnliche Pläne entwickelt.
- Das Katasteramt wird vom Landwirtschaftsministerium in das Umweltministerium verlegt.
- Durch eine Neuorganisation des Verfahrens für Umweltstrafen könnte vermieden werden, dass die mehr als 3 Milliarden US-Dollar an nicht bezahlten Strafen verfallen.
- Der Leiter der brasilianischen Umweltbehörde (Ibama) soll ersetzt werden.
- Voraussichtlich wird Lula noch in diesem Monat 13 neue indigene Gebiete ausweisen, die während der Amtszeit Bolsonaro ignoriert wurden.
- Die international anerkannte Umweltaktivistin Marina Silva ist zur Umweltministerin ernannt worden.
- Mit Sônia Guajajara ist die erste indigene Ministerin Brasiliens ernannt worden. Sie wird das neu geschaffene Ministerium für indigene Völker leiten.
Zuletzt hatte das Engagement-Bündnis seine Aktivitäten auf das Thema illegaler Goldabbau konzentriert. Viele Goldvorkommen finden sich in den Lebensräumen indigener Völker. Nicht nachhaltige Abbaumethoden haben daher oft verheerende Folgen für die Gemeinschaften und schädigen wertvolle Waldgebiete und Flüsse. Tommy Piemonte schreibt dazu: „Ein persönliches Highlight war das von Misereor ermöglichte persönliche Gespräch mit einer indigenen Anführerin der Volksgruppe der Munduruku. Von ihr haben wir einen Bericht aus erster Hand erhalten, welche schrecklichen Folgen und Begleiterscheinungen der illegale Goldabbau für den Regenwald und die indigene und traditionelle Bevölkerung hat.“ Um hier positiv Einfluss zu nehmen, führte unser Bündnis Dialoge mit dem Außenministerium und der Zentralbank Brasiliens sowie mit der Regierungsbehörde FUNAI, die für die Rechte der Indigenen zuständig ist.
Die neue Regierung hat viele Punkte, die von unserem Bündnis gefordert wurden, auf ihrer Agenda. Inwieweit sich die Hoffnung auf echte Fortschritte bei sozialen und ökologischen Themen erfüllt, werden wir weiter kritisch beobachten. Mitte des Jahres ist eine weitere Standortbestimmung geplant.
Armin Senger